Johanna und Hans-Julius Ahlmann im Interview mit Christian Strehk, Kieler Nachrichten vom 09.08.2014
Mit der „Kunst-Bespielung“ des Werksgeländes der ehemaligen Carlshütte dreht das Ehepaar Ahlmann seit Jahren ein großes Rad im kleinen Büdelsdorf.
Inzwischen ist zur Nordart, einer der größten Kunstausstellungen in Europa, auch noch die ACO Thormannhalle hinzugekommen, in der Sie der Orchesterakademie des SHMF optimale Probenbedingungen geschaffen haben. Mächtig viel Einsatz für das Schöne ...
Hans-Julius Ahlmann: Das sind ja gar nicht wir zwei. Wir sind nur Katalysatoren eines Netzwerkes. Wenn wir zum Beispiel an die Nordart denken, ist das ja nicht unser Werk, sondern die Nordart wurde vom Kurator Wolfgang Gramm und seiner Frau Inga Aru aufgebaut. Meine Frau und ich haben es räumlich, finanziell und zum Teil ideell ermöglicht, dass sich das Künstlerpaar hat entfalten können.
Aber es kostet – auch persönliche Energie, oder nicht?
Hans-Julius Ahlmann: Darin sehe ich nun mal die klassische Aufgabe eines Unternehmers. Es gibt den Unternehmer, der kann alles und macht alles – und wenn er tot ist, ist alles weg. Das ist die eine Extremform. Die andere ist das Selbstverständnis als Katalysator: Man trifft oder findet Menschen mit besonderen Fähigkeiten und hilft, deren Ambitionen dann möglich werden zu lassen.
Wenn Sie sich unter Freunden und Geschäftspartnern in der Wirtschaft bewegen, begegnet Ihnen da auch ungläubiges Kopfschütteln darüber, dass Sie sich neben der Führung eines international agierenden Unternehmens auch noch die Förderung der Künste in dieser Größenordnung „ans Bein binden“?
Johanna Ahlmann (lacht): Das hat ja als kleines Pflänzchen begonnen. Und wir hatten das Glück, dass wir stets tolle Kooperationspartner gefunden haben. Das war eben in der Bildenden Kunst Wolfgang Gramm oder auch das Nordkolleg mit Stephan Opitz. Die Lesungen in der ACO Wagenremise sind legendär – von Günter Grass über Martin Walser bis Siegfried Lenz. Und es gab und gibt weitere Partner wie das Theater oder die Kirche.
Die Wagenremise am Eingang zum Skulpturenpark ist also so etwas wie die Urzelle der Nordart und der Konzerte in der ACO Thormannhalle?
Johanna Ahlmann: Ganz genau. Das war vor 22 Jahren. Die Frage war: Wie kommen wir im Betrieb weiter? Das schaffen wir am ehesten, wenn wir alten Bürogebäuden mit schrecklichen Gummipflanzen und tristen Schränken etwas entgegensetzen und vielleicht sogar unsere Mitarbeiter kreativ beflügeln. Wolfgang Gramm hat für Bilder und Malaktionen gesorgt – an den Wänden und sogar auf den Tischen.
Hans-Julius Ahlmann: Da kamen dann Glasplatten auf die bemalten Tische. Die sind heute noch sehr begehrt im Unternehmen.
Eine eher ungewöhnliche Aktion. Reizt Sie der Brückenschlag zwischen der Arbeitswelt und den Künsten ganz besonders?
Hans-Julius Ahlmann: Nicht nur uns. Der chinesische Komponist Tan Dun verspürte gleich Lust, eine Oper für die Carlshütte zu schreiben, um die Atmosphäre hier musikalisch zu spiegeln. Das sind solche Schnittstellen zwischen den Künsten. Es gibt ja auch das Beispiel des türkischen Pianisten Fazil Say. Der wollte im Kontext verschiedener Skulpturen der Ausstellung, auf zwei Flügeln improvisieren. Das entspricht genau unserem Traum: Dass die Musik und die Kunst gemeinsam in der Industriearchitektur „auftreten“. So etwas werden wir mit dem spürbar beweglichen neuen SHMF-Intendanten Christian Kuhnt wohl in die Tat umsetzen können.
Das Festival hat ja ein bisschen die Herausforderung, dass Mozart unter Reetdächern zwar immer noch schön ist, aber es inzwischen schon viele nachgemacht haben. Es stellt kein Alleinstellungsmerkmal mehr dar. Jedoch die Nordart und andere bedeutende Kulturinstitutionen unseres Landes einzubeziehen, würde neue Perspektiven eröffnen.
Aber man gerät ja auch schnell an den Punkt, an dem man große Wagnisse eingehen muss. Wer weiß schon, ob das Publikum eine Idee annimmt?
Hans-Julius Ahlmann: Es gibt da ja immer unterschiedliche Motivationshöhen. Beim Bemalen von Tischen ist das noch begrenzt auf ein Büro, wenn es hoch kommt, auf die Firma. Wenn man im Garten vereinzelt Skulpturen aufstellt, ist dabei vielleicht noch gar nicht an Publikum gedacht. Wenn man aber in der Wagenremise Veranstaltungen macht, ist das etwas anderes. Da will man Publikum haben. Aber als im Jahr 2000 schon 10 000 Gäste kamen, war das kein Wagnis aus dem Nichts heraus mehr. Heute sind es 50 000, vielleicht sogar 60 000. Da weiß man unternehmerisch schon, womit man dann umgeht.
Aber es bleibt ja die Frage, warum Sie überhaupt die Energie und das Geld aufwenden?
Hans-Julius Ahlmann: Wir haben da vor zwei Jahren eine schöne begründende Anregung durch die letztlich leider gescheiterte Bewerbung der Stadt Sonderburg zur Kulturhauptstadt Europas erhalten. Da wurde der Begriff der „Countryside Metropolis“ eingebracht. Und das genau ist es. Wir leben in einer Zeit des rasenden Zusammenziehens aller Intelligenz in den großen Metropolen. Dem müssen wir etwas entgegensetzen, wenn wir und unsere Nachkommen hier bleiben wollen.
Johanna Ahlmann: Wer will schon „Provinz“ sein ...?
Hans-Julius Ahlmann: Auch Herr Gramm war vor zwanzig Jahren schon auf dem Sprung zurück über seine Heimatstadt Lübeck gen Hamburg oder Berlin, wo man als Kreativer eben so hinzieht. Wir wollten ihn aber hier halten, um auch in der Fläche des Landes anspruchsvolle, schöne Dinge anbieten zu können, die uns und die Menschen begeistern. Das gilt übrigens auch für die Mitarbeiter unseres Unternehmens, denen bewusst gemacht wurde, dass Büdelsdorf keineswegs das Ende der Welt sein muss. Mit „Countryside Metropolis“ ist das wunderbar umschrieben, obwohl wir damals den Begriff noch gar nicht kannten. Der Lebensraum wird aufgewertet. Sie können den Effekt auch an den Würdigungen nachvollziehen, die wir über die Jahrzehnte bekommen haben. Erstmal gab es den Kulturpreis der Stadt Rendsburg. Da waren wir für unsere Stadt wichtig. Dann gab es die Verdienstmedaille des Landes und 2011 den Kulturförderpreis des BDI – immerhin schon in Berlin. Da waren wir also deutschlandweit ins Blickfeld geraten. Und jetzt arbeiten wir gerade an einem neuen Kunstband, für den der Kultusminister der Russischen Föderation, die Vizekulturministerin der Volksrepublik China und die Kulturminister der drei baltischen Staaten Vorworte schreiben. Das klingt jetzt großspurig, soll aber nur die europäische Ausweitung unserer Wirkungskreise aufzeigen. Für die Nordart haben sich 3000 Künstler aus 101 Ländern beworben. Die Welt hat Lust, sich in Nordeuropa zu präsentieren. Und wo? Na, in der „Countryside Metropolis“ Büdelsdorf.
Johanna Ahlmann: Und genau das passt ja so gut zum Konzept der SHMF-Orchesterakademie. Da bewerben sich ja auch 1500 junge Musiker aus der ganzen Welt.
Haben Sie denn gleich diese glückliche Parallelität erkannt, als das Kulturzentrum Salzau plötzlich für das SHMF nicht mehr zur Verfügung stand?
Johanna Ahlmann: Wir haben zunächst nicht im Traum daran gedacht. Allenfalls Jazz Baltica wäre für uns denkbar gewesen.
Hans-Julius Ahlmann: Das Festival hatte das Nordkolleg zur Unterbringung im Blick. Aber sie hatten keine große Halle für die Tutti-Proben. Eher zufällig wurde ihnen auch die ACO Thormannhalle gezeigt – damals eigentlich annähernd abrissreif. Als ich dann davon erfuhr, kam der Stein ins Rollen. Dem Festival-Intendanten Rolf Beck musste erstmal alles egal sein: Hauptsache, ein Dach über dem Orchester. Was dann von uns umgesetzt wurde, daran mochte beim SHMF eigentlich niemand so recht glauben: Innerhalb von sieben Monaten musste unter anderem die Baugenehmigung eingeholt, eine Investition von anderthalb Millionen Euro getätigt, die Fußbodenheizung installiert, die historische Holzständerkonstruktion mit Stahlträgern in Einklang gebracht und eine stimmungsvolle Lichttechnik entwickelt werden. Und das alles allein auf Basis eines Handschlagvertrages unter Männern.
Johanna Ahlmann: Das war allemal abenteuerlich, aber wir waren optimistisch. Mit Begeisterung kann man einiges bewegen. Gut nur, dass wir zu dem Zeitpunkt noch nicht wussten, wie teuer das alles tatsächlich wird...
Literatur, Kunst, Musik – gibt es bei Ihnen eigentlich Gene oder auch biografische Grundlagen für Ihr leidenschaftliches Engagement?
Johanna Ahlmann: Meine Großtante, Anna Dräger-Mühlenpfordt, war eine bekannte Malerin. Da wird man schon als Kind häufig zu Ausstellungen mitgenommen. Ohnehin sind wir beide durch bürgerliche Elternhäuser geprägt, in denen Hauskonzerte selbstverständlich dazugehörten. Beinahe hätte mein Mann Musik studiert ...
Hans-Julius Ahlmann: Ich sollte das eigentlich, wollte aber nicht. Ich habe als Jugendlicher sehr viel musiziert, Klavier, Orgel, aber auch Kontrabass.
Sie, Frau Ahlmann, haben mit dem Gründer der Musikfreunde Kiel und Initiator des dortigen Philharmonischen Orchesters einen musikalischen Verwandten in der Landeshauptstadt gehabt: Universitätsmusikdirektor Hermann Stange.
Johanna Ahlmann: Ja genau, der Bruder meines Urgroßvaters. Stange war es, der mit Brahms vierhändig spielte, um ihn endlich auch im deutschen Norden populärer zu machen. Und er war der Mitbegründer des Schleswig-Holsteinischen Musikfestes, des historischen SHMF-Vorbildes. So schließt sich der Kreis.
Johanna und Hans-Julius Ahlmann: Literatur, Musik und Kunst begleiten sie von Kindesbeinen an. Das Bild zeigt sie auf der aktuellen Nordart. Der Geschäftsführer des Familienunternehmens ACO Gruppe, mit 3800 Mitarbeitern unter anderem einer der Weltmarktführer für Entwässerungssysteme, ist beispielsweise verwandt mit dem Brahms-Pianisten Detlef Kraus und dem Leipziger Thomaskantor Günther Ramin. Seine Frau, Großnichte der bekannten Lübecker Malerin Anna Dräger-Mühlenpfordt, begeistert sich als ehemalige Lehrerin besonders für die Vermittlung und Vernetzung der schönen Künste. Foto Axel Nickolaus